Christoph Nieberding hat als Finanzchef eines Tech-Dax-Unternehmens viele Jahre Businesspläne gesichtet. Er weiß, welche großen Hoffnungen Gründer in digitalen Zeiten daran knüpfen und er kennt den nüchternen Blick der Investoren.
Warum muss es eigentlich ein Businessplan sein? Gibt es mittlerweile nicht auch andere Wege und Formate potenzielle Investoren zu überzeugen?
Der Businessplan ist ein standardisiertes Dokument mit Aussagen über Unternehmensziele und konkrete Wege, diese zu erreichen, über technische und organisatorische Grundlagen, Kompetenzen und Erfahrungen von Mitarbeitern. Er enthält eine Übersicht der verfügbaren Ressourcen und beschreibt die Ergebnisse sowie die Finanzplanung für die Zukunft. Diese zusammenfassende Darstellung des Unternehmens baut auf vielen weiterführenden Informationen auf und lässt sich kaum durch andere Formate ersetzen.
Bei der Vorstellung des Business Cases vor Investoren kommen manchmal zwar sogenannte „Pitch Decks“, zusammenfassende Präsentationen, zum Zuge. Ein Ersatz für den Businessplan sind diese jedoch nicht.
Klar ist, dass die Empfänger des Businessplanes die Erfordernisse setzen: Wer in Unternehmen investiert, will die wichtigen Dinge für die eigene Entscheidung schlüssig und widerspruchsfrei zur Hand haben und entsprechend dokumentiert wissen. Wer solide Partner für die Unternehmensfinanzierung braucht, kommt am Businessplan nicht vorbei. Und nicht zuletzt aus Compliance-Gründen brauchen institutionelle Anleger und Corporates eine aussagefähige und belastbare Dokumentation. Das kriegen nicht alle gut hin.
In welchen Punkten bleiben Businesspläne heute hinter den Erwartungen zurück?
Viele Geschäftsvorhaben von Gründern und durchaus auch von etablierten Unternehmen fokussieren sich zu stark auf die Idee und die technischen Aspekte von Produkten und Dienstleistungen. Die Konzeption des Geschäftsmodells, der Wachstumsansatz und auch der Marktzugang kommen leider oft zu kurz. Es reicht nicht aus, grobe Szenarien zum Marketing zu entwerfen. Es ist vielmehr notwendig, sich über den konkreten Markteintritt für das Neugeschäft bereits von Anfang an Gedanken zu machen.
Warum bereitet es den Gründern solche Probleme, ihr Konzept plausibel zu machen?
Für die Realisierbarkeit einer Idee am Markt gibt es drei harte Prüfsteine. Erstens: Löst mein Produkt ein Kundenproblem? Zweitens: Gibt es dafür zahlungskräftige Nachfrage? Und drittens: Kann ich dauerhaft ein Geschäft daraus machen? Wer mit neuen Produkten oder Services ins Geschäft geht, hat zunächst mal zu wenige Informationen zur Nachfrageseite. Diese Lücke muss adressiert werden.
Das in der Vergangenheit übliche Vorgehen war, die Schritte für ein Gründungsvorhaben sequenziell abzuarbeiten. Das hat den Nachteil, dass es viel zu lange dauert, bis man belastbare Kunden-Feedbacks zu den wesentlichen Punkten erhält. Eine neue Information über den Markt oder eine neue Einschätzung zu Kundenanforderungen kann dann schnell mal alles bisher Erreichte in Frage stellen. Hier bewährt sich aktuell ein anderer Ansatz: Die Schritte zum Geschäftsaufbau phasenweise parallel zu durchdenken und sich bereits zu Beginn der Produktentwicklung auch mit Kunden und dem Marketing zu beschäftigen. Dies hilft dabei, sich auf wenige, wesentliche Fragen zu fokussieren und die eigenen Annahmen mit Prototypen zu testen und weiterzuentwickeln. Sonst verzettelt man sich zu sehr.
Im Prozess der Maßnahmenumsetzung ist dann die Fähigkeit zur klaren Priorisierung auf jene Schritte wichtig, die für Kunden in hohem Maße Nutzen bringend sind. Dann wird nach dieser Priorität weiterentwickelt. Das nennt man agiles Vorgehen.
Wie viel Sicherheit in den ersten Einschätzungen muss ein Businessplan heute vermitteln? Wird es nicht als schlechte Vorbereitung ausgelegt, wenn man ankündigt, herumzuexperimentieren?
Es ist mittlerweile gängig und akzeptiert, Szenarien zu überprüfen, zu verwerfen und die Zielrichtung anzupassen. Das Testen von Hypothesen zum Kundenverhalten ist der richtige Ansatz, wenn ich Risiken effektiv reduzieren möchte. Da breiten sich die einschlägigen Erfahrungen der Internet-Geschäftsmodelle inzwischen auch auf ganz andere Branchen aus. Aber Investoren bleiben vorsichtig. Grundsätzlich gilt: In der Abstimmung mit Investoren tun sich diejenigen Unternehmer leichter, die bereits das Produkt im Markt haben und erste Markterfolge in den Zahlen nachweisen können. Ein frühzeitiger Markttest mit nachweisbaren Ergebnissen hilft bei der Rückkopplung für die Entwicklung und bei der Investorensuche.
Businesspläne müssen mit Annahmen zu wirtschaftlichen Entwicklungen und einem Marktumfeld argumentieren. Welche Verlässlichkeit haben solche Aussagen in Zeiten der digitalen Transformation?
Das wirtschaftliche Umfeld wird dynamischer und Märkte ändern sich zum Teil extrem schnell. Die Zukunftsprognosen werden für viele Branchen und auch für Unternehmen mit digitalen Geschäftsmodellen unsicherer. Das wissen auch die Investoren. Umso wichtiger ist es, dass sich Vorhaben zum Unternehmensaufbau stufenweise entwickeln lassen und dadurch Risiken aus dem Wachstumsprozess genommen werden. Die Fähigkeit des Unternehmens zur Reaktion auf sich ändernde Annahmen muss im Businessplan herausgestellt werden.
Wo sehen Sie in den kommunikativen Qualitäten von Businessplänen Verbesserungsbedarf?
Auch ein Businessplan ist ein Produkt und die Kunden sind die Investoren. Die wollen einen schnellen Zugang zur Investment-Story und den relevanten Entscheidungskriterien. Wer einen Businessplan rein schematisch abhandelt, läuft Gefahr, in der Innensicht stecken zu bleiben und am Adressaten vorbeizuschreiben.
Muss dem Internet eigentlich heute zwangsläufig eine Schlüsselrolle im Kommunikationsplan zukommen?
Die Rolle des Internets diskutiert heute niemand mehr, aber den Einsatz der einzelnen Maßnahmen muss man je nach Produkt, Zielgruppe und Branche stark differenziert betrachten. Online und Social Media fallen als Stichworte sehr schnell, ohne zu berücksichtigen, dass die Onlinekanäle für bezahlte Maßnahmen teuer sind und man über Social Media nicht immer die richtige Zielgruppe erreicht. Gerade im B2B-Bereich ist die Zielgruppe der Entscheider in Deutschland wenig auf Social Media- Kanälen präsent. Am besten fängt man sehr früh mit der Erstellung einer eigenen Kommunikationsplanung an, denn der Aufbau einer Community ist zeit- und ressourcenaufwendig. Auch wenn es von vielen suggeriert wird: Mit Kommunikationskonzepten von der Stange wird man sich kaum ausreichend differenzieren können.
Wenn man von Businessplänen spricht, denkt man immer an junge Existenzgründer. Aber viele gestandene Unternehmen gliedern heute Geschäftsbereiche aus oder gründen Startups. Bei Ihren ehemaligen Kollegen in den Finanzabteilungen müsste der Businessplan doch in den besten Händen sein?
Genau, soweit die Theorie: Die „Finanzer“ übersetzen die Gründungsidee in die betriebswirtschaftliche Sprache und trimmen sie auf die Schablonen der Investoren. Aber so einfach ist das heute nicht mehr. Es beginnt schon mit den Schwierigkeiten, sich intern erst einmal über Geschäftsansatz und Businessplaninhalte zu verständigen. Während sich die einen bereits in frühen Phasen zunehmend „lean“ und „agil“ entwickeln, müssen die anderen Standards befüllen und ein klares Langfrist-Commitment für Ziele und Ergebnisse des Managements transportieren. Andersrum gilt: Je etablierter ein Geschäft wird, desto mehr spielen Standards eine Rolle.
Bei der Erstellung von Businessplänen treffen heute sehr unterschiedliche Denkwelten aufeinander, die aber für ein stringentes Dokument zusammengebracht werden müssen. Das Experimentelle und eine gewisse Offenheit für die strategische Entwicklung zu Beginn und die agile Anpassung bei Wachstumsszenarien im komplexen Umfeld müssen die Kaufleute schon mal aushalten. Da dürfen wir die Betriebswirte nicht verlieren.
Was andersrum junge Unternehmer von den Finanzexperten dringend lernen müssen, ist, wie man zum Beispiel leistungsfähige interne Prozesse plant und aufbaut und dabei schlank bleibt, die Risiken des Unternehmensaufbaus in den Griff bekommt, die Finanzierung für das Wachstum sichert und das Betriebsergebnis steuert. Durch einen intensiven Austausch zwischen der technischen und kaufmännischen Seite können Fehler vermieden und die eigene Lernkurve steil gehalten werden.
Einen abschließenden kompakten Rat für alle, die sich nicht abschrecken lassen?
Eine gute Idee zu haben, sie richtig und in kurzer Zeit auf Produkt- und Marktseite erfolgreich umzusetzen, ist eine ziemliche Herausforderung. Wer das angeht, braucht das richtige Timing, Ausdauer und Fokus. Nehmt das Handwerkliche ernst! Das müssen die meisten sich erstmal aneignen, aber wenn man das drauf hat, geht’s bei der nächsten Gründung schneller.
Herzlichen Dank für das Gespräch!